Weltmeister in der Krise: Wir brauchen die richtige mentale Orientierung

„Wir“ sind Weltmeister. Allerdings läuft die EM-Qualifikation momentan alles andere als weltmeisterlich – und in ein paar Tagen steht das nächste Spiel gegen Gibraltar an. Jogi Löw und seine Jungs zu kritisieren ist jetzt nicht sinnvoll, denn wir sitzen alle im gleichen Boot. „Wir“ müssen da jetzt gemeinsam raus.  Was ist zu tun, damit die Jungs erfolgreich Kurs auf die EM 2016 nehmen? Wir brauchen die richtige mentale Programmierung! Denn die Psyche des deutschen Teams wirkt sich ganz konkret auf Körper jedes Einzelnen aus.

Positiver Fokus im Sport bedeutet: Spielen um etwas zu gewinnen, anstatt um etwas nicht zu verlieren. Die Art dieser nach oben oder nach unten gerichteten Orientierung macht einen enormen Unterschied. Wohin das führt, konnte jeder in den letzten zehn Spielminuten im vergangenen EM-Qualifikationsspiel gegen Irland sehen. Die Mannschaft war voll darauf fokussiert, die 1:0 Führung zu halten – und wurde in der Nachspielzeit bitter dafür bestraft. Unabsichtlich ist das deutsche Team in eine Vermeidungsmentalität gerutscht, anstatt im Aktionsmodus zu bleiben.

Wie legt man mentale Fehlorientierung ab?

Wenn wir Menschen versuchen, uns zu verteidigen, werden im Gehirn andere biochemische Substanzen erzeugt als wenn wir etwas erreichen wollen. Durch eine positive, aktive Orientierung auf das Erfüllen der eigenen Aufgabe schüttet der Körper Motivations- und Belohnungsstoffe, wie zum Beispiel Dopamin, aus. Dadurch ist eine offene Wahrnehmung gewährleistet. Wir erfassen viel von dem, was um uns herum passiert. Wenn wir allerdings spielen, um nicht zu verlieren, macht sich Verlustangst breit. Der Körper schüttet Stresshormone aus, beispielsweise Cortisol und Adrenalin. Dieser veränderte biochemische Cocktail hat Auswirkungen auf Körper und Verhalten. Der Fokus wird auf die Gefahr gelegt, der Blick verengt sich, Muskeln verkrampfen, der Überblick geht verloren, der Energieaufwand steigt. Auf dem Platz bedeutet das: Die Spieler können den Blick auf ihre Gegner und besser positionierte Mitspieler verlieren.

Die mentale Orientierung hat also nichts mit Glauben zu tun, sondern ist ein biologischer Prozess. Deshalb müssen Jogi Löw und seine Jungs an der inneren Orientierung arbeiten. Das gelingt nicht von heute auf morgen, sondern ist ein langer Entwicklungsprozess. Das Ziel ist nicht der EM-Titel 2016, sondern eine neue Spielkultur.

Der Schlüssel zum Erfolg: Aktionsorientierung statt Ergebnisorientierung

Heute, ein paar Monate nach der WM, in dieser scheinbar von allein laufenden EM-Qualifikation, müssen wir wach sein; jetzt gilt es, anzugreifen. Jetzt heißt es, sich frei zu machen von dem Gedanken, der Gejagte zu sein. Das ist das Eine.

Das Zweite: Wir dürfen uns nicht nur auf das Ergebnis fokussieren. Natürlich ist das Ziel klar: Wir müssen ab sofort jedes Spiel erfolgreich sein, um die EM-Qualifikation zu schaffen. Was für Spieler und Trainer aber viel wichtiger ist: Sie müssen ihren Fokus auf die eigene Aktion ausrichten. Sie müssen ihr eigenes Verhalten verbessern, unabhängig vom Ergebnisgedanken. Jeder Spieler braucht eine eigene, persönliche Aufgabe, die er erfüllen will. Anstatt mit dem Gedanken „Wir müssen Tore schießen“ auf den Platz zu gehen, kann ein Auftrag lauten, ab jetzt jeden Zweikampf zu gewinnen.

So steigere ich die Aufmerksamkeit für meine zentrale Spielaufgabe anstatt zu viele Dinge gleichzeitig zu denken. Ich vermeide unnötige Gedanken an Sieg oder Niederlage. Die Stresshormone, die mich bremsen, bleiben mir erspart. Aufgaben wie diese zielen auf Persönlichkeit ab und sorgen dafür, sich auf die eigenen Aktionen zu fokussieren. Der Job des Trainers ist es, jedem Spieler die richtige und für ihn passende Aufgabe zu geben. Während die Einen ganz spezielle Herausforderungen, wie zum Beispiel das Gewinnen der Zweikämpfe haben, gibt es andere Spieler, die den Spielfluss fördern und den Überblick behalten. Erfolgreiche Teams funktionieren genauso: Alle Verantwortlichkeiten sind so verteilt, dass sie wie die Rädchen einer Uhr ineinander greifen. Gemeinsam bringen sie das Uhrwerk der Mannschaft schließlich zum Laufen.

EM 2016? Es geht um viel mehr!

Weil der Druck enorm hoch ist, braucht die Mannschaft jetzt mehr denn je die Konzentration nach innen. Wir müssen weg von der Orientierung auf das äußere Spiel,   denn hier dreht sich alles darum, Ergebnisse zu erzielen bzw. Niederlagen zu vermeiden. Entscheidend für Erfolg ist der Gewinn des inneren Spiels, das nur mit eigenen Gefühlen, Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungszielen zu tun hat.

Jogi Löw und sein Team haben jetzt die Chance, etwas viel Größeres zu schaffen als nur eine erfolgreiche Europameisterschaft zu spielen. Es geht darum, eine eigene deutsche Spielkultur zu entwickeln, die sich unabhängig von einzelnen Leistungsträgern oder gar einem Trainer etabliert. Dafür brauchen wir die richtige mentale Orientierung. Wenn die stimmt, wird die Biologie folgen. Das heißt in der Praxis: Selbstvertrauen aufbauen und nach vorne gehen, persönliche Aufgaben erfüllen, angreifen und siegen. Das und nur das ist die Devise, wenn Fußballdeutschland eine neue Epoche prägen will. Das Team darf sich nicht als der Gejagte begreifen, sondern als diejenigen, die eine neue Ära einleiten, die über die EM 2016 hinaus Bestand haben kann.

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