Zeit als Geschenk – Eine bewegende Geschichte

Die folgende Geschichte über den Wert von Zeit ist nicht von mir, sondern wurde von einem Taxifahrer aus New York vor kurzem niedergeschrieben. Die Lehre, die sich daraus für unser Leben ergibt, muss nicht von mir herausgearbeitet werden – sie ergibt sich aus der Geschichte. Ich hoffe, Ihnen damit einen Impuls geben zu können, der Ihre Lebensqualität und Leistungsfreude steigert. Haben Sie mehr Zeit für sich und andere.
Steffen Kirchner

Geschichte eines New Yorker Taxifahrers:
Ich wurde zu einer Adresse hinbestellt und wie gewöhnlich hupte ich als ich ankam. Doch kein Fahrgast erschien. Ich hupte erneut. Nichts. Noch einmal. Nichts. Meine Schicht war fast zu Ende, dies sollte meine letzte Fahrt sein. Es wäre leicht gewesen einfach wieder wegzufahren. Ich entschied mich jedoch dagegen, parkte den Wagen und ging zur Haustür. Kaum hatte ich geklopft, hörte ich eine alte gebrechliche Stimme sagen „Bitte, einen Augenblick noch!“
Durch die Tür hörte ich, dass offensichtlich etwas über den Hausboden geschleift wurde.

Es verging eine Weile bis sich endlich die Tür öffnete. Vor mir stand eine kleine alte Dame, bestimmt 90 Jahre alt. Sie trug ein mit Blümchen bedrucktes Kleid und einen dieser Pillbox Hütte mit Schleier, die man früher immer getragen hat. Ihre gesamte Erscheinung sah so aus, als wäre sie aus einem Film der 1940 Jahre entsprungen. In ihrer Hand hielt sie einen kleinen Nylon Koffer. Da die Tür offen war, konnte ich nun auch ein paar Blicke in die Wohnung werfen. Die Wohnung sah aus als hätte hier über Jahre niemand mehr gelebt. Alle Möbel waren mit Tüchern abgedeckt. Die Wände waren völlig leer – keine Uhren hingen dort. Die Wohnung war fast komplett leer – kein Zimmerschmuck, kein Geschirr auf der Spüle, nur hinten der Ecke sah ich etwas. Einen Karton, der wohl mit Photos und irgendwelchen Glas-Skulpturen bepackt war.

„Bitte, junger Mann, tragen sie mir meinen Koffer zum Wagen?“ sagte sie. Ich nahm den Koffer und packte ihn in den Kofferraum. Ich ging zurück zur alten Dame um ihr beim Gang zum Auto ein wenig zu helfen. Sie nahm meinen Arm und wir gingen gemeinsam in Richtung Bürgersteig, zum Auto.

Sie bedankte sich für meine Hilfsbereitschaft.
„Es sei nicht Rede wert“ antwortete ich ihr, „Ich behandle meine Fahrgäste schlicht genauso, wie ich auch meine Mutter behandeln würde!“
„Oh, sie sind wirklich ein vorbildlicher junger Mann.“ erwiderte sie.

Als die Dame in meinem Taxi platzt genommen hatte gab sie mir die Zieladresse, gefolgt von der Frage, ob wir denn nicht durch die Innenstadt fahren könnten.
„Nun, das ist aber nicht der kürzeste Weg, eigentlich sogar ein erheblicher Umweg.“, gab ich zu bedenken.
„Oh, ich habe nichts dagegen „, sagte sie. „Ich bin nicht in Eile. Ich bin auf dem Weg in ein Hospiz.“
„Ein Hospiz?“ schoss es mir durch den Kopf. Scheiße, Mann! Dort werden doch sterbenskranke Menschen versorgt und beim Sterben begleitet. Ich schaute in den Rückspiegel, schaute mir die Dame noch einmal an.

„Ich hinterlasse keine Familie“ fuhr sie mit sanfter Stimme fort. „Der Arzt sagt, ich habe nicht mehr sehr lange.“
Ich schaltete das Taxameter aus. „Welchen Weg soll ich nehmen?“ fragte ich.
Für die nächsten zwei Stunden fuhren wir einfach durch die Stadt. Sie zeigte mir das Hotel, indem sie einst an der Rezeption gearbeitet hatte. Wir fuhren zu den unterschiedlichsten Orten. Sie zeigte das Haus indem sie und ihr verstorbener Mann gelebt hatten als sie noch „ein junges, wildes Paar“ waren. Sie zeigte mir ein modernes neues Möbelhaus, dass früher „ein angesagter Schuppen“ zum Tanzen war. Als junges Mädchen habe sie dort oft das Tanzbein geschwungen.

An manchen Gebäuden und Straßen bat sie mich besonders langsam zu fahren. Sie sagte dann nichts. Sie schaute dann einfach nur aus dem Fenster und schien mit ihren Gedanken noch einmal auf eine Reise zu gehen. Hinter dem Horizont kamen die ersten Sonnenstrahlen. Waren wir tatsächlich die ganze Nacht durch die Stadt gefahren?
„Ich bin müde“ sagte die alte Dame plötzlich. „Jetzt können wir zu meinem Ziel fahren“

Schweigend fuhren wir zur Adresse, die sie mir am Abend gegeben hatte. Das Hospiz hatte ich mir viel größer vorgestellt. Mit seiner Mini-Einfahrt wirkte es eher wie ein kleines freundliches Ferienhaus. Jedoch stürmte kein kaufwütiger Makler aus dem Gebäude sondern zwei eilende Sanitäter die, kaum hatte ich den Wagen angehalten, die Fahrgasttüre öffneten. Sie schienen sehr besorgt.
Sie mussten schon sehr lange auf die Dame gewartet haben.

Und während die alte Dame im Rollstuhl platz nahm, trug ich ihren Koffer zum Eingang des Hospiz.
„Wie viel bekommen sie von mir für die Fahrt?“ fragte sie, während sie in ihrer Handtasche kramte.
„Nichts“, sagte ich,
„Sie müssen doch ihren Lebensunterhalt verdienen«, antwortete sie.
„Es gibt noch andere Passagiere“ erwiderte ich mit einem Lächeln.
Und ohne lange drüber nachzudenken, umarmte ich sie. Sie hielt mich ganz fest an sich.
„Sie haben einer alten Frau auf ihren letzten Meter noch ein klein wenig Freude und Glück geschenkt. Danke!“, sagte sie mit glasigen Augen zu mir.
Ich drückte ihre Hand, und ging dem trüben Sonnenaufgang entgegen … Hinter mir schloss sich die Tür des Hospiz. Es klang für mich wie der Abschluss eines Lebens.

Meine nächste Schicht hätte jetzt beginnen sollen, doch ich nahm keine neuen Fahrgäste an. Ich fuhr einfach ziellos durch die Straßen – völlig versunken in meinen Gedanken. Ich wollte weder reden, noch jemanden sehen. Was wäre gewesen, wenn die Frau an einen unfreundlichen und mies gelaunten Fahrer geraten wäre, der nur schnell seine Schicht hätte beenden wollen. Was wäre, wenn ich die Fahrt nicht angenommen hätte. Was wäre, wenn ich nach dem ersten Hupen einfach weggefahren wäre?

Wenn ich an diese Fahrt zurück denke, glaube ich dass ich noch niemals etwas Wichtigeres im Leben getan habe.
In unserem hektischen Leben, legen wir besonders viel wert auf die großen, bombastischen Momente. Größer. Schneller. Weiter.
Dabei sind es doch die kleinen Momente, die kleinen Gesten die im Leben wirklich etwas zählen.
Für diese kleinen und schönen Momente sollten wir uns wieder Zeit nehmen. Wir sollten wieder Geduld haben – und nicht sofort hupen – dann sehen wir sie auch.

Klicke, um diesen Beitrag zu bewerten!
[Gesamt: 55 Durchschnitt: 4.3]

20 Gedanken zu „Zeit als Geschenk – Eine bewegende Geschichte

  1. Das íst eine sehr schöne Geschichte. Ich war auf der Suche nach Geschichten zum Thema „Schenken“. Wir haben ein kleines Marionetten-Theater und spielen bei Senioren- und Frauenkreisen. Ich könnte mit vorstellen, dass eine unserer Puppen diese Geschichte erzählt, als Abschluss. Ist dies erlaubt?

  2. 27.09.16

    Diese Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ich nehme gerade als Krankenschwester an einer Weiterbildung zur Palliativpflegekraft teil. Nächste Woche werde ich an einem Tag den Morgenimpuls gestalten. Ich werde diese schöne Geschichte dann vorlesen.

    Liebe Grüße

    Christine Redemann

  3. 09.12.2016
    Das ist eine wunderschöne Geschichte. Ich werde sie heute abend am lebendigen Adventskalender vorlesen. Sie passt so gut in die Adventszeit, die immer so plötzlich kommt und ich mir einfach zu wenig Zeit nehme für das Wesentliche nämlich jemanden Zeit zu schenken.

    Liebe Grüße

    Maria

  4. Ich war auf der Suche, nach einer Geschichte mit dem Thema „Zeit „, für meine Familie zum Heiligen Abend. Wir möchten uns nichts schenken, dafür wollen wir gerne im kommenden Jahr für uns gemeinsam mehr Zeit für einander haben und gemeinsam etwas unternehmen. Einmal gemeinsam den hektischen Alltag hinter uns zu lassen. Es hat Tradition, dass ich Heiligabend der Familie eine schöne Geschichte vorlese.

  5. Diese Geschichte finde ich sehr passend für unsere Adventsfeier vom Frauenbund. Ich suchte zum Thema „Zeit“ eine schöne Geschichte.
    So wie ich finde kann man diese Geschichte gut dafür nehmen, weil sie uns zeigt wie wichtig es ist, sich einmal für andere Menschen wirklich etwas Zeit zu nehmen. Inne zu halten und sich für kranke oder alte Menschen treiben zu lassen. Dabei brauchen wir nicht weit zu schauen,wo es manchmal nötig ist.

  6. Habe die Geschichte gestern bei uns im Gottesdienst erzählt. Kam sehr gut rüber. Die Leute waren sehr bewegt und habe viele gute Rückmeldungen bekommen.

    • Ist ja super, dass die Geschichte sehr gut rüber kam und dass die Leute sehr bewegt waren und dass Sie viele gute Rückmeldungen bekommen haben. Schön für Sie. So sieht Erfolg aus!

  7. Ich bin sehr berührt durch Ihre Geschichte.
    Ich war auf der Suche nach einem Text über die ZEIT für meine Yogaklassen heute Abend. Ich werde Ihre Geschichte den Menschen vorlesen. Sie wird Gefühle wecken. Herzlichen Dank.

    Lina Sauer

  8. Danke für dieses wunderbare Geschichte. Habe sie zu verschiedenen Gelegenheiten schon vorgelesen. Jetzt bekommt sie der Freund meiner Enkelin als Weihnacht-Beigeschenk.

  9. So eine inspirierende Geschichte lässt einen wieder an das Gute im Menschen glauben. Kleine Gesten und auch Zeit können große Geschenke sein.
    Toll, dass die Geschichte sogar von jemandem im Gottesdienst vorgetragen wurde!
    LG
    Oliver

  10. Ich habe diese Geschichte gelesen, weil ich wissen wollte was helfen bedeutet und was das mit einem macht.
    Ich habe auch schon Menschen geholfen und es war nie was großes, was ich als wichtig anerkannt habe. Doch diese Geschichte hat mir gezeigt das man, jedem helfen kann, egal wie klein oder groß der Aufwand sein mag, die Leute werden einem dafür danken. Sie hat mir die Augen noch ein Stück weiter geöffnet und ich werde jetzt noch mehr auf mein Umfeld achten um Menschen zu helfen und etwas gutes zu tun. Danke LG Lina

  11. Mein Mann war auf der Suche nach einer schönen Geschichte für eine Jahresschlussfeier und ist bei Ihrer Geschichte hängengeblieben und hat sie mir dann auch gleich vorgelesen. Ich finde sie sehr schön und sie bestätigt mir, wie wichtig es ist Zeit füreinander zu haben und in unserer schnelllebigen Zeit dem Menschen uns gegenüber bewusster zu begegnen.
    Vielen Dank für Ihre Inspiration

  12. Ich war auf der Suche, nach einer Geschichte mit dem Thema „Zeit „ für unseren Weihnachtskalender der Gruppe Onko-Aktiv, Frauenselbsthilfe nach Krebs.
    Jede Teilnehmerin gestaltet einen Tag in unserem WhatsApp-Weihnachtskalender. Vielen herzlichen Dank Steffen für deine schöne Geschichte. LG Heike

  13. Auch ich habe zum Vorlesen am „Lebendigen Adventskalender“ eine Geschichte zum Thema Zeit gesucht. Ich werde Ihre berührende Geschichte in diesem Jahr verwenden.
    Vielen Dank dafür.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert