Vom Unfall zum goldenen Traum

Alessandro „Alex“ Zanardi war als Formel-1-Pilot ein gefeierter Star der Rennsportszene. Ein verheerender Rennunfall im Jahr 2001 veränderte sein Leben für immer. Er verlor 75% seines gesamten Bluts sowie beide Beine. Heute hat es der Mann geschafft, wieder vor Energie und Lebensmut zu strotzen. Es ist die Geschichte, einer lebenden Legende, die sich ins Leben zurück kämpfte, weil sie hungrig auf Erfolg und die Erfüllung ihres Traumes war.

Zwischen 1991 und 1999 startete Alex Zanardi bei 41 Grand-Prix-Rennen zur Formel-1-Weltmeisterschaft. 1997 und 1998 errang der Italiener jeweils die Champ-Car-Meisterschaft. Seine Karriere ging steil bergauf und seine persönlichen Spitzenleistungen übertraf er Jahr für Jahr. Doch das Jahr 2001 sollte zu einem besonderen Kapitel im Drehbuch seines jungen Lebens werden. Der allseits beliebte Rennfahrer verunglückte er bei einem Unfall während des Formel-1-Rennens auf dem EuroSpeedway Lausitz schwer.

Der Albtraum: 7 x reanimiert und mit 1 Liter Blut ins Krankenhaus

Zanardi führte das Rennen in der Lausitz an erster Position an. Es waren nur noch 13 Runden zu absolvieren. Als Führender bog er zum letzten Tankstop in die Boxengasse ein. Nur noch knapp 50 Kilometer bis zur Zielflagge. Doch die sollte der Italiener nicht mehr sehen, denn denn der Unfall, der ihm nun bevorstand, ging als einer der schwersten Unfälle in die Motorsportgeschichte ein. Zanardi fuhr aus der Boxengasse zurück in Richtung Rennstrecke. Als er bei der Boxenausfahrt die Kontrolle über seinen Wagen verlor, konnte Alex Tagliani nicht mehr ausweichen. Der Kanadier prallte mit 320 km/h ungebremst in Zanardis Auto und riss dessen Rennwagen förmlich auseinander.
>> Video vom Unfall

“Ich müsste tot sein”, sagte Zanardi kürzlich in einem Interview über seinen Unfall. Er weiß, wie viel Glück er damals hatte. Sage und schreibe sieben Mal musste er wiederbelebt werden. Auf dem Weg ins Klinikum Berlin-Marzahn hatte der 34-Jährige nur noch rund 1 Liter Blut im Körper, da er 75 % seines gesamten Körperblutes bereits zuvor auf der Rennstrecke verloren hatte. Zanardi gewann dank unbändigem Lebenswillen und großartigen Ärzten den Kampf gegen den Tod – verlor aber beide Beine.

Nur 20 Monate nach seinem Unfall kehrte Alex Zanardi an den Ort zurück, der sein Leben für immer veränderte. Er wollte das tun, was er an jenem 15. September 2001 nicht mehr tun konnte: Das Rennen auf dem Lausitzring beenden. So fuhr er unter tosendem Applaus der Zuschauer allein die letzten 13 Runden und zeigte der Welt sein Kämpferherz. Die Rundenzeiten hätten noch immer für Platz 5 im damaligen Qualifying gereicht – sensationell.

Der goldene Traum – Das Comeback

Zäh und zielstrebig kämpfte sich der Lebenskünstler mit dem großen Herzen ins Cockpit zurück und startete in einem Spezial-BMW von 2005 bis 2009 bei der Tourenwagen-WM.  In seinem speziell für ihn umgebauten Wagen, in dem er mit der Hand Gas geben und die Bremse mit der Prothese des rechten Beines bedienen konnte, gewann er am 29. August 2005 das Rennen der Tourenwagen-WM in Oschersleben. Nach dem Rennen fuhr er – nicht ganz reglementkonform – in umgekehrter Fahrtrichtung durch die Boxengasse, wo er von sämtlichen Fahrern und Mechanikern gefeiert wurde. Zwei weitere Rennsiege erzielte er 2006 in Istanbul und 2008 in Brünn. Ende 2009 trat er zurück.

Danach entdeckte Zanardi das Handbike. Ein Freund hatte ihm von diesem Sport erzählt und entfachte sofort das Feuer der Begeisterung in ihm. Den ersten Versuch an der Handkurbel, die bei Sportlern ohne Beine die Pedale ersetzt, brach er nach wenigen Minuten völlig erschöpft ab. Dennoch waren sein Interesse und seine Neugierde geweckt. Zanardis Erfolgsregel fürs Leben lautet: “Man muss im Leben immer neugierig sein. Neugierde hilft Dir, in allem was Du tust, Leidenschaft zu finden. Das ist das Geheimnis.” >> Video mit Lebensimpulsen von Alex Zanardi

Die Triebfeder seiner Neugierde war die Frage: Wie gut kann ich mein Leben meistern, trotz dieser Umstände? Wieviel Leistungspotenzial steckt noch in mir? Wie hungrig bin ich auf Erfolg? Trotz all der Mühen, des Schmerzes, der Verzweiflung und der anfangs zahlreich vergeblichen Versuche, mit dem Handbike auf einen grünen Zweig zu kommen, hatte er einen Traum: Er wollte sich selbst und sein Land bei den Paralympics vertreten.

Gold in London – Zanardi wird zur lebenden Legende

Alex Zanardi begann sich mit dem Handbike anzufreunden und täglich zu trainieren. Nach einem mehrwöchigen, intensiven Trainingsprogramm wagte er sich an den New York Marathon. Er wurde auf Anhieb Vierter. Und im Jahr darauf gewann er das Rennen. Egal ob nur noch mit 60 statt 300 Kilometer pro Stunde, oder ob auf drei statt vier Rädern – Champion bleibt Champion. Den ein Champion zu sein ist kein Titel, es ist ein Lebensstil.

Nun versuchte Zanardi seinen goldenen Traum in die Realität umzusetzen. Elf Jahre nach seinem Horror-Unfall am Lausitzring 2001, gewann der frühere Formel-1-Pilot mit dem Handbike auf dem legendären Kurs von Brands Hatch, bei seiner Paralympics-Premiere sensationell die Goldmedaille im Einzelzeitfahren und im Straßenrennen (Fotos 1 | 2 | 3).
Der Italiener distanziete im Zeitfahren über 16 Kilometer in der Kategorie H4 den Deutschen Norbert Mosandl um fast eine halbe Minute. Dass das so gut gelingen und Gold holen würde, hatte er selbst nicht für möglich gehalten. Schliesslich war er unter den Teilnehmern zwar der Bekannteste, aber mit seinen 45 Jahren auch nahezu der Älteste.

Als nächsten Kick träumt der “Unverwüstliche” von einem Start bei der DTM oder beim legendären Indy 500. Zanardi strotzt vor Tatendrang und Lebensmut. Seine Behinderung nimmt er mittlerweile mit Humor. Aussagen wie “Wenigstens kann ich mich jetzt nicht mehr erkälten, wenn ich Barfuß laufe”, oder “Wenn ich mir noch mal die Beine breche, brauche ich nur noch einen Inbusschlüssel”, zeigen, wie gut sich der Italiener mit seiner Situation nach dem tragischen Unfall arrangiert hat. Das Handbike gibt dem mittlerweile 45-Jährigen genau das, was er immer schon in seinem Leben brauchte: sportlichen Wettkampf und die Möglichkeit, über die eigenen Leistungsgrenzen hinauszuwachsen.

Doch das wirklich Wesentliche für Alex Zanardi, sind nicht seine neu erzielten Erfolge, sondern vielmehr das, was er in sich selbst gefunden hat: Maximale Leistungsfreude, Erfolgs- und Lebenshunger, sowie Begeisterung, gepaart mit der Erkenntnis, dass es am Ende nicht die entscheidende Rolle spielt, was uns im Leben widerfährt.
Es geht nicht darum, ob uns das Beste geschieht, sondern ob wir das Beste aus dem machen, was uns geschieht. Es geht darum, immer hungrig zu sein, etwas im Leben erschaffen, erreichen und gestalten zu wollen. Alex Zanardi hat das Beste aus sich und seinen Umständen gemacht, die ihm geschehen sind. Er gestaltet sein Leben und ist ein Macher, kein Opfer. Er ließ sich nicht von seinen Umständen bestimmen, sondern er bestimmte seine Umstände, soweit er darauf Einfluss nehmen kann. Er ist neugierig und hungrig. Und er weiß nun, dass auch die größte Tragödie, eine oft gut versteckte Chance für die Zukunft bereithält, für die es sich lohnt, im Leben wieder aufzustehen. Wofür sind Sie bereit, auch bei großen Rückschlägen wieder aufzustehen? Was ist Ihr Antrieb? Wie hungrig sind Sie aufs Leben und persönliche Träume?

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