Die Andreas Kümmert-Lektion: Mein Leben gehört nur mir!

Andreas Kümmert will nicht für Deutschland beim ESC antreten und hat seine Wahl zum Sieger abgelehnt (Video: http://goo.gl/Da3ZaQ). Die Aufregung um seine Entscheidung zeigt, dass in unserer Gesellschaft der freie, selbstbestimmte Wille eines Menschen nur selten akzeptiert wird, wenn das Umfeld andere Wünsche und Erwartungen hat. Jeder von uns hat in seinem Rahmen manchmal ähnliche Probleme im Leben. Lass uns daher genauer hinschauen, was wir von Andreas Kümmert und seiner Entscheidung für unser Leben lernen können.

„Nein danke!“ zu sagen, gilt heutzutage oft als undenkbar. Zu Helden werden immer nur die glorifiziert, die niemals aufgeben, sich selbst bis zur Besinnungslosigkeit quälen und darum betteln, „noch eine Chance“ zu bekommen, da sie „alles dafür tun, um dem Anspruch gerecht zu werden“. Immer weiter, immer größer, immer höher, immer schneller. Den ständig steigenden Erwartungen und Wünschen Außenstehender nachzukommen, ist das große Credo unserer Zeit. Ihr äußeres Image ist vielen Leuten wichtiger, als ihr innerer Selbstwert. Doch in Wahrheit ist es ein sehr viel größerer Erfolg, so zu sein wie man selbst sein will, anstatt so zu werden, wie andere einen haben wollen.

Die Grundsatzfrage: Warum nimmt Andreas Kümmert an einem Wettbewerb teil, den er nicht gewinnen will?

Lass uns auf die Fakten schauen: Natürlich hat Andreas Kümmert offensichtlich einige psychische Aufgaben in seinem Leben zu lösen und den ein oder anderen Dämon aus seinem Kopf zu vertreiben. Natürlich ist es auch ungut, wenn Andreas Kümmert an einem Wettbewerb teilnimmt, den er am Ende gar nicht gewinnen will. Und natürlich basiert sein Rückzug auf bislang nicht überwundenen Ängsten, vor denen er versucht zu fliehen, anstatt sie aufzulösen. All das sind Themen, die er in seinem „Rucksack“ durch sein Leben trägt und mit denen er sich früher oder später beschäftigen muss. Für den Zuschauer stellt sich nach seinem Rückzug natürlich nun unweigerlich die Frage: Warum hat er an einem Wettbewerb teilgenommen, den er am Ende gar nicht gewinnen wollte? In diesem Zusammenhang gibt es zwei wichtige Punkte zu beachten:

Erstens:
Es gibt mehrere Aspekte, die einen Menschen dazu bewegen können, an derartigen öffentlichen Wettbewerben teilzunehmen. Die Struktur der menschlichen Motivation ist komplex und nicht nur auf den Wunsch nach dem Sieg zu reduzieren. Jeder Mensch besitzt mehrere emotionale Grundbedürfnisse, die uns gefühlsmäßig dazu antreiben, bestimmte Dinge zu tun, auch wenn rein rational einiges dagegen spricht. Wer noch nie die Erfahrung gemacht hat, eine falsche Entscheidung aus dem Gefühl heraus getroffen zu haben, obwohl der Kopf wusste, dass diese Entscheidung wahrscheinlich falsch ist, werfe den ersten Stein.
Nach seinem Erfolg bei „The Voice“ hätte Andreas Kümmert natürlich schon wissen können, dass ihn eine große mediale Welle erwarten wird, wenn er auch aus diesem Wettbewerb als Sieger hervorgeht. Doch die Schwierigkeit des Lebens besteht nunmal aus dem zeitweisen Widerspruch zwischen Kopf und Bauch. Oder um es anders zu sagen: Rationales Verstehen und emotionales Verstehen sind zwei komplett unterschiedliche Dinge.
Andreas Kümmert befindet sich durchaus in einer verzwickten Situation. Einerseits liebt er seine Kunst und möchte damit viele Menschen berühren. Auf der anderen Seite hasst er die Öffentlichkeit, den Rummel und die starke Aufmerksamkeit. Ja, Emotionen sind nicht immer logisch. Ziele im Leben können sich widersprechen und zueinander in Konflikt stehen. Ein großer Wunsch nach Bedeutsamkeit kann durchaus Hand in Hand gehen mit einer großen Angst vor dieser großen Bedeutsamkeit. Hier die Balance zu finden, ist sicherlich eine Lebensaufgabe.

Zweitens:
Hätte Andreas Kümmert es nicht schon vor dem Wettbewerb wissen müssen, dass er sich auf dem falschen Weg befindet? Die Antwort ist: Nein! Denn viele Erkenntnisse im Leben bekommt man nicht durch Vorausdenken oder Berechnung aus Erfahrungen der Vergangenheit, sondern nur durch das aktive Erleben. Manchmal ist es so, dass man erst dann erkennt, auf dem falschen Weg zu sein, wenn man ihn geht. Viele Menschen erreichen in ihrem Leben Ziele und merken erst kurz vor der Zielerreichung, dass sie dieses Ziel eher unglücklich macht als glücklich. Andreas Kümmert war bereits an einem großen Zwischenziel angekommen. An dieser Stelle den Mut zu haben, wieder umzukehren, verlangt höchsten Respekt und volle Anerkennung. Vielleicht ist diese Umkehr nicht populär, für viele nicht nachvollziehbar und aus Sicht eines Künstlers auch falsch – doch als Mensch war sie richtig, da sie komplett selbstbestimmt war und der Stimme seines Herzens entsprungen ist.

Von vielen Leuten, die nun entsetzt aufschreien und Andreas Kümmert eine Weichei-Mentalität oder große Feigheit nachsagen, wird komplett übersehen, welche Stärke dieser Mann in Wirklichkeit bewiesen hat. In einem solchen Moment des Sieges ein öffentliches „Nein“ auszusprechen und dies auch gegen alle Buhrufe und Überredungsversuche der Moderatorin durchzusetzen, war vielleicht der größte Akt von Stärke, Authentizität und echter Selbstbestimmung, den ein deutscher Entertainer jemals öffentlich vollbracht hat. Unter diesen Umständen zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen und Millionen von Menschen dabei in ihren Erwartungen und Forderungen zu enttäuschen, zeugt von großer Eigenverantwortung. Und Eigenverantwortung ist eine Disziplin, in der gerade diejenigen noch viel Nachhilfe brauchen, die nun am lautesten schreien.

All jenen, die nun bitterböse auf Andreas Kümmert sind und ihn für seinen Rückzug verurteilen, sei gesagt: Einem Menschen (mit einem Anruf für ein paar Euro) einen Auftrag zu erteilen, ist eine Sache. Ob dieser Mensch diesen Auftrag dann auch annehmen will, ist SEINE Sache. Es ist sein Leben! Nur weil wir einen Menschen ideell oder finanziell unterstützen, können wir nicht über ihn verfügen oder bestimmen!  Andreas Kümmert muss mit den Folgen seiner Entscheidungen leben und nicht der Zuschauer. Die einzige echte Verantwortung, die er trägt, ist die, für sich eine Entscheidung zu treffen, mit deren Folgen er danach alleine klarkommen muss. Der Zuschauer, der sich allzu gerne zum Richter über „Richtig“ und „Falsch“ aufspielt, wird ihm dabei nicht helfen.

5 Lektionen, die wir von Andreas Kümmert für unser Leben lernen können

Lektion 1:
Mach Dir immer bewusst, was Dir selbst in Deinem Leben wirklich am wichtigsten ist und handle danach.

Lektion 2:
Höre nicht auf die Stimmen anderer. Keiner weiß besser was gut für Dich ist, außer Du selbst.

Lektion 3:
Lass nie andere die Regeln für Dein Leben aufstellen. Mach Deine eigenen Regeln in Deinem Leben und lebe nach ihnen! Wer Deine „Spielregeln“ nicht akzeptiert, ist nicht gezwungen mit Dir zu „spielen“.

Lektion 4:
Bei den wichtigsten Entscheidungen, die Du in Deinem Leben für Dich und Dein Wohl zu treffen hast, bist Du meistens sehr alleine. Eigenverantwortliche, selbstbestimmte Entscheidungen sind oftmals einsame Entscheidungen. Freunde und Schulterklopfer tauchen meist erst danach wieder auf.

Lektion 5:
Wenn Menschen Dich ausbuhen, weil sie Deine Entscheidung nicht akzeptieren, dann wollen sie nicht DEIN Bestes, sondern nur IHR Bestes. Man sollte nie auf die Botschaften von Menschen hören, die dabei nur an sich selbst denken und ihr Ego befriedigen wollen.

Lieber Andreas Kümmert: Du kannst stolz auf Dich sein. Dein Schritt ist beispielhaft für viele Menschen (gerade auch Prominente, die in der Öffentlichkeit stehen), die noch nicht stark genug waren, eine persönliche Schwäche von sich öffentlich einzugestehen und radikal eigenverantwortlich zu entscheiden. Genau aus diesem Grund sind beispielsweise Homosexualität oder Depressionen im Profifußball noch immer ein Tabu-Thema, da sich keiner traut, gesellschaftlich unangepasst zu handeln und zu sprechen. Du warst stark genug. Langfristig wird Dir das als Mensch (und ich glaube auch als Künstler) mehr nutzen als schaden. Für Deine Karriere war dies womöglich vorübergehend ein kleiner Rückschritt, aber für Dein Leben eine große Befreiungsaktion. Dafür gehört Dir mein vollster Respekt. Ich wünsche Dir, dass Du Deinen Weg finden wirst, auf dem Du erfolgreich und gleichzeitig auch glücklich mit Deiner Kunst & Gabe sein kannst.

Steffen Kirchner
www.steffenkirchner.de
www.lebensstark-seminar.de

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Ein Gedanke zu „Die Andreas Kümmert-Lektion: Mein Leben gehört nur mir!

  1. Ich freue mich sehr für Andreas und denke, dass er auf jeden Fall gewinnen wollte. Um dann die Macht des eigenen Willens auszuleben. Und genau dies ist ein Stück seiner Heilung seiner Seele. Er ist nicht mehr fremdgesteuert! Er allein darf sagen was er will und was er nicht will! Wer weiss, wer weiss, alles hat seinen Grund. <3 … Hauptsache es bringt Heilung :-)

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