Der einsame Tod des bekannten Ex-Fußballschiedsrichters Manfred Amerell macht nachdenklich. Dieser Mann war über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und pfiff 1994 das DFB Pokalfinale vor über 70.000 Menschen. Und dennoch lag er tagelang unentdeckt tot in seiner Wohnung – keiner hatte ihn vermisst. Womöglich sollten wir wieder einmal genauer darüber nachdenken, wie wir im Herzen von Menschen in positiver Erinnerung bleiben, denn mit quantitativer Bekanntheit und dem zwanghaften Aufpolieren des eigenen Images ist es offensichtlich nicht getan.
Im Alter von 65 Jahren ist Manfred Amerell in München gestorben. Die Polizisten klingelten an der Haustür, nachdem man rund 1 Woche nichts mehr von Amerell gehört hatte. Vergeblich. Die Tür blieb verschlossen. Niemand hatte Amerell gesehen. Der Postkasten quoll über. Als sich die Beamten dann mithilfe der Feuerwehrwehr Zugang zur Wohnung verschafften, wurde Amerells Tod Gewissheit.
Gestorben als bekannter aber unglücklicher Mann
Amerell verfügte ja nicht nur als ehemaliger Sprecher der Schiedsrichter über eine besondere Prominenz. Er war als Hauptfigur verwickelt in einen der größten Skandale in der Geschichte der Fußball Bundesliga. Im Februar 2010 wurde bekannt, dass sich Amerell seinem Schiedsrichterkollegen Michael Kempter gegen dessen Willen sexuell genähert haben sollte. Es folgte ein zweijähriger, öffentlicher Rechtsstreit, inklusive heftiger medialer Schlammschlachten. Letztlich endete die Auseinandersetzung mit einem Vergleich. Amerell biss sich selbst an diesem Prozess fest. Er fühlte sich vom DFB diffamiert. Es sei jetzt seine „Lebensaufgabe, die Scherben zusammenzukehren“. Eine Lebensaufgabe, die letztlich zur zur (un)freiwilligen Aufgabe seines Lebens bzw. seiner Lebensfreude führte. Ist es das wert? Was bringt es, so lange gegen die halbe Welt zu kämpfen, wenn man am Ende übersieht, dass man alleine im Leben dasteht und sich im Kampf und das Aufpolieren des eigenen Images komplett von seinem sozialen Umfeld entfernt hat? Vielleicht sollten wir uns öfter die Frage stellen, wer uns vermissen würde, wenn wir selbst 1 Woche nicht auffindbar oder erreichbar wären. Womöglich ist dieser Gedanke ziemlich unbequem, doch er könnte uns davon abhalten uns in sinnlosen Ego-Kämpfen zu verlieren und zu vereinsamen.
Amerells Leben – vom Aufstieg zum kompletten Absturz
Nach seinem Abschied als Geschäftsführer von 1860 bekleidete der gebürtige Münchner Manfred Amerell die gleiche Position beim FC Augsburg (1975 bis 1979) und beim Karlsruher SC (1979 bis 1984). Anschließend wechselte er ins Lager der Spitzenschiedsrichter.
In seiner aktiven Zeit war Manfred Amerell dafür bekannt, kein Blatt vor den zu Mund nehmen und keinen Star mit Samthandschuhen anzufassen. „Er war ein sehr rigoroser Mensch„, sagte Bernd Heynemann, sein ehemaliger Kollege: „Als Schiedsrichter hatte er den Spitznamen ‚Aquarell’, weil er so viele Karten gezogen hat.“
Höhe- und Endpunkt seiner Laufbahn als „Pfeife der Nation“ (Amerell über sich selbst) war die Leitung des Endspiels des DFB-Pokals 1994 zwischen Werder Bremen und Rot-Weiss Essen. Danach folgte ein Wechsel ins Funktionärslager, wo er schließlich als Schiedsrichterbeobachter und -sprecher arbeitete.
In den letzten Jahren ging es für Amerell konstant bergab. Nach dem schmutzigen Sex-Prozess musste er sein Hotel in Augsburg aufgeben und verkaufen, welches er hauptberuflich geführt hatte. Seine Frau trennte sich von ihm. Auch der Kontakt zu seinen Töchtern riss angeblich ab. Fortan lebte er allein in seiner Fünf-Zimmer-Wohnung in München. Eine große Wohnung, für einen einsamen Menschen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde Amerell wie folgt zitiert: „Meine Lebensqualität geht gegen Null.“
Warum Beziehungen wichtiger sind als Image
Vor einer Woche wurde Manfred Amerell laut Polizei das letzte Mal lebend gesehen. Dass er seitens der Familie vermisst wurde, darauf gebe es keine Hinweise, sagte Kriminaldirektor Hellwig. In einem Fußballstadion wurde Manfred Amerell zuletzt im August bei einem Heimspiel des TSV 1860 gesehen. Ansonsten hielt er sich zuletzt der Öffentlichkeit fern und bereitete sich allenfalls auf weitere Prozesse vor. Die Sehnsucht, seinen Ruf wiederherzustellen, begleitete ihn bis in den Tod.
Kann das der Sinn des Lebens sein, sich seinen guten Ruf zurück prozessieren zu wollen? Ist inneres Gleichgewicht denn wirklich abhängig davon, wie mein Image in der Öffentlichkeit ist? Aus meiner Sicht nicht, denn unser Image ist lediglich die Vorstellung, die andere Menschen über uns und unser Leben haben. Ist das wirklich wichtig?
Wer sich eher darauf fokussiert, ein gutes persönliches Netzwerk an lieben Menschen um sich herum zu haben, das einen unterstützt und gute Gefühle bzw. Lebensqualität gibt, dem kann sein Image in der Öffentlichkeit getrost am Allerwertesten vorbei gehen.
Das Wichtigste ist allerdings nicht nur eine gute Beziehung zu anderen Menschen, sondern zunächst einmal eine gute Beziehung zu sich selbst. Beides hatte Manfred Amerell wohl leider nicht. Sein Körper und das Leben haben ihm vorzeitig die rote Karte gezeigt. Im Grunde viel zu früh. Er hat sich wohl kaputt prozessiert und zu Tode gestritten. Er hat sein Image so lange verteidigt und gegen alle möglichen „Feinde“ gekämpft, bis am Ende seine Lebenskraft bei Null stand. Das ist schade, aber daraus können wir lernen.
Denn Fakt ist: Wer viel gegen andere kämpft, trägt den größten Kampf im Grunde in seinem Inneren mit sich selbst aus. Die Art und Weise, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, lässt einen Rückschluss darauf zu, wie wir mit uns selbst umgehen. Oder um es noch einfacher zu sagen: Wer sich selbst liebt, den können die anderen auch gern haben.