Sicherlich wissen Sie, dass die mentale Stärke ein Schlüssel dafür ist, wie gut die Qualität Ihrer Tennisschläge im Wettkampf ist. Wissen Sie aber auch, wie lange Sie bei einem Tennisschlag eigentlich den Ball überhaupt mit dem Schläger berühren? Eine halbe Sekunde? Oder etwas weniger? Es ist sogar sehr viel weniger, gerade mal 0,005 Sekunden – in Worten: fünf tausendstel Sekunden. Nächste Schätzfrage: Was denken Sie, wie viele Schläge Sie durchschnittlich in einem Tennismatch machen? In einem sehr engen, langen Spiel sind es ca. 800 Schläge. Wenn Sie diese Schlagzahl nun mit der Ballkontaktzeit von 0.005 Sekunden multiplizieren, wird Ihnen klar, dass Sie in einem solchen Marathonmatch den Ball tatsächlich nur rund 4 Sekunden lang berühren. Es sind also nicht die kurzen Momente des Ballkontaktes, die über Sieg oder Niederlage entscheiden, sondern die langen Momente dazwischen.
Tennis wird in den Pausen entschieden
Interessant ist auch, dass in einem zweistündigen Tennismatch die effektive (tatsächliche) Spielzeit bei maximal rund 40 Minuten liegt. Den Rest der Zeit verbringt man mit der Vorbereitung auf den Aufschlag, mit dem Warten auf den nächsten Return, mit Seitenwechseln usw. Die wirklich spannende Frage in Bezug auf die mentale Stärke eines Tennisspieler ist also nicht: „Was denke ich während eines Ballwechsels“, sondern: „Was denke ich zwischen den Ballwechseln?“ Das Schwierige im Tennis ist, dass man durch die vielen Pausen sehr viel Zeit zum Nachdenken hat. Wer lernt, diese Pausen entsprechend sinnvoll und energiebringend zu nutzen, hat massive Wettbewerbsvorteile vor seinen Gegnern, da er seine mentale Stärke damit enorm stabilisieren kann.
Jeder Spieler ist nur so stark wie sein schwächstes Element
Die Leistungsfähigkeit eines Athleten setzt sich immer aus verschiedenen Elementen zusammen, wie Technik, Taktik, Athletik, Psyche (mentale Stärke & Motivation), Ernährung, Ausrüstung/Material usw. Dabei ist die Leistungsfähigkeit immer nur so hoch, wie es das schwächste Element zulässt. Sind Technik, Taktik und Athletik auf Topniveau, aber die mentale Stärke fehlt, limitiert das die gesamte Leistungsfähigkeit massiv. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Persönlichkeit des Sportlers, die ebenfalls aus verschiedenen Elementen besteht. Wir sind als Mensch nur so stark und selbstbewusst wie es das schwächste Element unserer Persönlichkeit zulässt. Daher möchte ich Ihnen nun drei zentrale Schlüssel vorstellen, mit denen Sie einige Ihrer wesentlichen Persönlichkeitselemente bewusst positiv beeinflussen können. Denn Fakt ist: Den Tennisball können Sie erst dann kontrollieren, wenn Sie sich selbst kontrollieren können.
Erster Schlüssel für mentale Stärke: Die richtige (langfristige) Orientierung
Um mentale Stärke entwickeln zu können, ist es für Tennisspieler entscheidend, eine klare Orientierung zu besitzen, wie sie sich als Sportler langfristig entwickeln wollen. Hier geht es um die Frage: Wo möchte ich als Athlet in fünf oder zehn Jahren stehen? Wenn Sie keine konkrete Vorstellung über Ihre Entwicklung haben, besteht die Gefahr, dass Sie den Ausgang einzelner Matches zu hoch bewerten und somit schneller verkrampfen, wenn nicht sogar resignieren. Tennisspieler überschätzen sehr häufig, wie wichtig einzelne Resultate sind, und sie unterschätzen massiv, wie wichtig eine langfristige Entwicklungsplanung ist. Die Aufgabe besteht darin, die eigene Aufmerksamkeit von der ständigen Ergebnisorientierung hin zu einer Prozessorientierung zu verlagern. Denn für den Erfolg eines Sportlers ist der Prozess seiner Entwicklung wirklich entscheidend, nicht die einzelnen Ergebnisse.
Fragen Sie sich also: Wohin möchten Sie sich in den nächsten Jahren technisch, athletisch oder taktisch entwickeln? Fokussieren Sie diese Vision und vor allem das, was Sie dafür diese Woche tun müssen. Und denken Sie immer daran: Ein Champion scheitert häufiger als es andere überhaupt versuchen.
Zweiter Schlüssel für mentale Stärke: Emotionssteuerung durch persönlichkeitsbezogenen Spielstil
Jeder Mensch besitzt drei Emotionszentren im Gehirn, in denen unsere grundlegenden (instinktbasierten) Verhaltensmuster gespeichert sind. Diese kommen natürlich auch beim Tennis zum Tragen. Das erste Emotionszentrum ist das Stimulanz-System. Hier geht es um den emotionalen Wunsch nach Abwechslung, Neugier und Spaß. Der zweite limbische Bereich nennt sich Dominanz-System. Hier sind Bedürfnisse wie der Wunsch nach Dominanz, Kontrolle und Macht beheimatet. Der dritte Bereich ist das Balance-System, in dem in erster Linie der Wunsch nach Sicherheit die zentrale Rolle spielt. Wichtig zu verstehen ist: Jeder Mensch besitzt jedes dieser drei Emotionszentren, doch diese sind bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Beispiele für eher dominanzorientierte Spieler waren in der Vergangenheit z.B. Boris Becker oder John McEnroe. Einen hohen Balance-Anteil hat mit Sicherheit ein Spieler wie Novak Djokovic, der vielleicht beste Verteidigungsspieler der Geschichte, der offensiv allerdings nur überschaubare Risiken eingeht. Ein sehr hoch ausgeprägter „Stimulanz-Typ“ ist Dustin Brown. Ein Mann, der von seiner Unberechenbarkeit lebt, ständig neue und teils verrückte Dinge mit extrem hohem Risiko ausprobiert und auf dem Platz mehr von seiner Lebensfreude lebt, als von Verbissenheit.
Um emotionale und somit auch mentale Stärke zu gewinnen, müssen Sie als Tennisspieler Ihren Spielstil auf Ihre Persönlichkeitsstruktur anpassen. Das bedeutet: Ein Sicherheits-Mensch tut nicht gut daran, hochriskante Spielstrategien mit vielen Netzangriffen oder Longline-Schüssen zu wählen. Einen Stimulanz-Typ wie Dustin Brown sollte man dagegen keinesfalls zu einem Sicherheitsspieler umzuerziehen, da er so an mentaler Stärke verlieren statt gewinnen würde. Fragen Sie sich daher selbst: Welcher Emotionstyp sind Sie? Welcher der drei Bereiche ist bei Ihnen wie stark ausgeprägt? Und vergleichen Sie dazu Ihren Spielstil. Dominanzmenschen sollten auch auf dem Tennisplatz eine offensive Strategie wählen, denn Risiko entwickelt bei ihnen keine Angst, sondern positive Aggression. Für den Sicherheitsmenschen gilt das Gegenteil.
Dritter Schlüssel für mentale Stärke: Gedankenkontrolle durch Ritualisierung
Boris Becker wurde nach seinem ersten Wimbledonsieg 1985 im aktuellen Sportstudio von Moderator Harry Valérien nach seinem Geheimnis gefragt, woran er bei knappen Spielständen immer denke, da er in diesen Situationen meist besonders stark spielte. Becker antwortete: „Das Geheimnis ist, dass ich in diesen Momenten eigentlich an gar nichts denke.“ Hört sich lustig an, ist aber der entscheidende Erfolgsfaktor. Die Frage ist nur: Wie denkt man „einfach nichts“? Ein Schlüssel dazu ist, dass Sie all Ihre Handlungen auf dem Tennisplatz ritualisieren, standardisieren und automatisieren. Vor allem die 15-20 Sekunden zwischen den Ballwechseln sollten Sie nicht einfach dem Zufall überlassen. Vielmehr sollten Sie hier eine Systematik entwickeln, die Ihnen Routine und somit Sicherheit gibt. Ihr Kopf schaltet leichter ab, wenn Sie bestimmte Abläufe stetig wiederholen, da Sie dann schlichtweg weniger nachdenken müssen. Wenn Sie dagegen keine Routinen zwischen den Ballwechseln entwickeln, ist ihr Gehirn immer hochaktiv, weil es sozusagen frei wählen kann, woran es denkt. Mit Hilfe von Routinen entwickeln Sie zudem auch emotionale Stabilität, da Sie sich nicht mehr mit vergangenen Ballwechseln oder Fehlern beschäftigen, sondern auf sich und die Gegenwart fokussiert sind. In diesem Zustand werden im Körper deutlich mehr positive Botenstoffe freigesetzt als wie wenn Sie ständig alles beurteilen und rückwärts-analysieren, was auf dem Platz während des Matches so passiert ist.
Ich habe ein 4-Phasen-Modell entwickelt, das die Zeit zwischen den Ballwechseln in eine konkrete Systematik unterteilt und somit standardisiert. Dieses Modell zu erklären, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Einen kleinen Tipp kann ich Ihnen hier dennoch geben: Nutzen Sie Ihre Vorstellungskraft zwischen den Ballwechseln! Setzen Sie Visualisierungstechniken gezielt ein, um sich den nächsten Return oder Aufschlag immer und immer wieder mit optimalem Ablauf vorzustellen. Sie sollten den idealen Schlag schon drei bis vier Mal im Kopf durchgegangen sein, bevor Sie den Ball tatsächlich schlagen. Ganz nach dem Motto: Erst treffen (mental), dann zielen (real)!
Wenn Sie mehr Interesse über das Thema mentale Stärke erfahren möchten und Interesse an einem persönlichen Coaching haben, kontaktieren Sie gerne mein Büro.
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Herzliche Grüße, Ihr Steffen Kircher
ein gut geschriebener Artikel der auch auf andere Sportarten zutrifft.
Danke für die Tipps zum Tennisspielen. Mein Cousin arbeitet bei einer Firma für die Frühjahrssanierung von Tennisplätzen. Seitdem er mir so viel davon erzählt hat, möchte ich auch probieren, Tennis zu spielen. Gut zu wissen, dass man beim Tennis auch seine Emotionen kontrollieren muss.
Ich , Sportlehrer und aktuell sehr interessierter Tennispieler,
finde Ihren Artikel insgesamt hervorragend:
Besonders bemerkenswert sind Ihre Ausfuehrungen zum Thema:
Welche Strategie, bin eher ein aengstlicher Mensch. waehle in einem Spiel?
Deshalb sind meine Traeume, einen Gegner mit langen, aggressiven Grundschlaegen besiegen zu koennen, wohl doch eher Schaeume, weil sie nicht zu
meiner Mentalitaet passen.
Diese wichtigen Zusammenhaenge zu thematisieren, haette ich mir neben dem Techniktraining von den Tennislehrer, von denen ich bislang trainiert worden, gewuenscht.
Dank Ihrem Artikel, der zur Pflichtlektuere
eines jeden Tennislehrers zaehlen muesste,
habe ich nun eine Perspektive gewonnen und ich kann es kaum erwarten sie auf dem Platz umzusetzen, auszuprobieren.
Vielen Dank
Wunderbar, vielen Dank für das tolle Feedback! Und viel Erfolg beim Umsetzen auf dem Platz :-)
Ein wirklich sehr schöner Artikel H. Kirchner, aber ich Denke das 4-Phasen-Modell hätte in diesem Artikel auch noch Platz gefunden ::)
Trotzdem werde ich versuchen einiges davon auf dem Platz umzusetzen.
Interessant, dass Sie schrieben, dass man auch als Sportler einen festen Plan haben sollte. Ich denke ich werde den Tenniskurs, den ich gerade angefangen habe eher als Hobby verfolgen. Aber ich bewundere Athleten, die mit mehr Ehrgeiz an die Sache herangehen.